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Political Framing: Wie Worte unsere Meinung prägen

Ein Beitrag zur Aktion "Kursgruß" von Dagmar Wirtz, Politikwissenschaftlerin

Holen Sie sich Zettel und Stift und schreiben Sie die ersten fünf Worte auf, die Ihnen zu „Oase“ einfallen. Doch wirklich, probieren Sie es mal aus! Haben Sie? Dann schauen Sie sich Ihre Begriffe an. Sind es positive, neutrale oder negative Assoziationen? Oasen bedeuten Wasser in der Wüste. Lebensrettender Zufluchtsort in einer bedrohlichen Umgebung. Ausruhen. Kraft schöpfen. Und diese Assoziationen werden bei Ihnen unbewusst (!) aktiviert, wenn Sie das Wort Oase hören. Auch wenn Sie gerade eine politische Debatte zu „Steueroasen“ führen.

Wenn Sie der Meinung sind, Steueroasen müssten „ausgetrocknet“ werden, dann vernichten Sie einen lebensrettenden Ort. Geht gar nicht! Durch die unbewusste positive Assoziation mit Oasen können Sie andere schlechter davon überzeugen, dass gegen Oasen vorgegangen werden muss. Denn Oasen sind gut.
Sprache Macht Meinung. Worte beeinflussen unsere Interpretation der Wirklichkeit. Politisches Framing erläutert uns, wie Worte unser Denken unbewusst prägen. Die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling lehrt uns, dass wir unterschiedliche politische Meinungen nur dann gleich wirksam vertreten können, wenn wir unterschiedliche Worte verwenden. Probieren Sie es noch einmal aus, die fünf ersten Begriffe aufzuschreiben, die Ihnen einfallen zu „Atom“ und „Kern“. Und dann wissen Sie, warum die einen von Atomkraft (Atombombe = Gefahr) und die anderen von Kernenergie (Zentrum = wichtig, Müsli = gesund) sprechen. Framing erläutert auch, dass das Anargumentieren gegen eine gesetzte Botschaft unbewusst eher die Ursprungsbotschaft stärkt als die Gegenposition. Wenn Sie also gegen Steueroasen sind, aber den Begriff „Oase“ verwenden, stärken Sie eher die Position derer, die Steueroasen befürworten. Und Sie versäumen, Ihre eigene Weltsicht darzustellen, wie etwa Steuerbeitrag statt Steuerlast, Steuerflucht statt Steueroase, Steuergerechtigkeit, Steuerverantwortung...
Framing macht uns bewusst: Sprache formt das Denken. Es setzt den Rahmen, innerhalb dessen wir die Welt wahrnehmen. Wofür es keine Worte gibt, kann auch nicht gedacht werden.

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Ein weiteres Beispiel: Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen schweren Unfall, bei dem der Vater sofort stirbt. Der Junge wird mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein Chef - Chirurg arbeitet, der eine bekannte Kapazität für Kopfverletzungen ist. Die Operation wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chefchirurg erscheint, blass wird und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“
Frage: In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen der Chirurg und das Kind? Na? In meinen Vorträgen kommen dann Einfälle wie: Adoptivvater. Schwule Eltern. Stiefvater. Aber die richtige Antwort ist: Der Chirurg ist die Mutter des Kindes, also eigentlich die Chirurgin. Die Begründung vieler, dass geschlechtergerechte Sprache nicht nötig sei, ist: Frauen werden mitgedacht. Mal ehrlich: Haben Sie bei dem Beispiel mit dem Chirurgen an eine Frau gedacht? In meinen Vorträgen um Framing und „Sprache Macht Meinung“ geht es darum, sich die eigene politische Sprache bewusst zu machen und die unbewusste Wirkung von Worten auf Meinung und Haltung zu erfahren. Meinungsvielfalt und Demokratie kann nur bestehen, wenn wir auch unterschiedliche Worte in der politischen Debatte verwenden, die jeweils unsere unterschiedliche Weltsicht darstellen. Ich freue mich darauf, am 9.11. bei Ihnen einen Vortrag über wertschätzende, nichtdiskriminierende Sprache halten zu können! Bis dahin: Achten Sie auf Ihre Worte, sie prägen Ihre Meinung!
Dagmar Wirtz ist Politikwissenschaftlerin, Soziologin und Systemische Moderatorin
(Fotos: Dagmar Wirtz)

Hinweis: Eine Veranstaltung zu diesem Thema ist mit der Referentin am Montag, 9.11.2020 um 19 Uhr bei der Katholischen Erwachsenenbildung Kreis Ravensburg geplant. Eine Anmeldung und weitere Informationen über die Rubrik "Kursprogramm" auf unserer Webseite.

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